Im Labyrinth der Sphinx

Peter Lemar

Der Journalist Paul Linquist ersteht die Kopie eines  prähistorischen Papyrus, auf dem die legendäre Halle der  Urkunden eingezeichnet ist, eine unterirdische Halle des  Wissens. Mit seinem Freund, dem Ägyptologen Edwin  Stallgatter, macht er sich auf nach Gizeh, um die Halle zu  finden. Während beide ein unterirdisches Labyrinth  durchqueren, wird Stallgatters Bruder auf der Area 51 für ein  geheimes Raumfahrtprogramm angeworben. Als schließlich  offenbar wird, dass der Mensch keine einzigartige Spezies ist,  taucht auf einmal der mysteriöse David Gotthilf auf und mit ihm  viele Fragen: Was ist der Mensch? Was sind Geist und Seele?  Gibt es tatsächlich eine Welt der reinen Ideen, eine Zahlen- matrix, die alle Informationen für unsere Erscheinungswelt  enthält, einschließlich der gesamten Historie, ja des Schicksals  eines jeden Menschen?

Das Buch behandelt höchst brisante Themen wie Zahlen- theorie, Gentechnik, Evolutionstheorie und UFOs. Es gilt als  Geheimtipp für Leser jenseits des Tellerrands.

ISBN 978-3-946814-33-7  |   203 Seiten
3. Auflage, Oktober 2018  |   Nepa Verlag
Preis € 13,95 [D]
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Leseprobe
VI

Als sie am nächsten Tag, es war Mittwoch, der 13. August 1997, den Taltempel das dritte Mal durchquerten, wäre wohl auch diesmal kein Mensch auf die Idee gekommen, in ihnen etwas anderes zu sehen als zwei stinknormale Touristen. Wahrscheinlich amerikanische. Dass ihre Rucksäcke etwas überproportioniert waren, fiel dabei – rein optisch – nicht so sehr ins Gewicht. Paul hingegen, der das Aggregat trug, hatte ganz schön zu schleppen. Aber der Weg war ja nicht weit, und das Ziel heiligt bekanntlich die Mittel.
Auch diesmal kamen sie ohne Weiteres bis zum Seiteneingang der Sphinx und von dort wie gehabt ins Innere.
Als erstes wurde in unmittelbarer Nähe der Platte das Aggregat aufgestellt und mit Isolierwatte verpackt. Auch der Bohrhammer wurde damit eingewickelt. Trotzdem war es Edwin etwas mulmig zumute, als er den Startbautenzug in der Hand hielt. Aber es musste sein. Eine andere Wahl hatten sie nicht.
Das Geräusch war erträglich. Ein leichtes Dröhnen, das sich nach außen hin sicher verflüchtigte. Viel unangenehmer war das Rattern des Bohrhammers. Aber Edwin brauchte nicht lange. Er bohrte ein etwa zehn Zentimeter tiefes Loch in die Platte und befestigte einen Haken samt Öse daran. Jetzt konnte man die Brechstange durch die Öse schieben und versuchen, den Stein in irgendeine Richtung zu bewegen.
„Warte!“ zischte Edwin, „wir müssen versuchen, die Platte etwas anzuheben.“
Und tatsächlich ließ sie sich ohne größere Schwierigkeiten beiseite schieben, in einen dafür vorgesehenen Hohlraum hinter der Wand.
„Merkwürdig“, meinte Paul, „dass das so einfach geht. Als ob es so vorgesehen wäre.“
„Aber hier drunter ist nur Geröll“, antwortete Edwin, während er mit dem Spaten ein etwa dreißig Zentimeter tiefes Loch aushob und lediglich ein Gemisch aus Erde, Sand und Felsschutt zum Vorschein brachte.
„Aber es geht doch relativ leicht, eigentlich viel zu leicht“, bemerkte Paul, „zumindest brauchen wir keinen Bohrhammer mehr.“
In diesem Moment stieß Edwin auf etwas Hartes.
„Da is‘ was!“
„Sieht aus wie eine Stufe!“ rief Paul. „Ja, das sind Stufen!“
Edwin konnte tatsächlich zwei Stufen freilegen und es sah ganz danach aus, dass noch weitere folgten. Er nahm jetzt die Schaufel und schaufelte, was das Zeug hielt. Paul ebenso. Nach einer Stunde unermüdlichen Schaufelns stießen sie erneut auf Stein. Bis dahin hatten sie bereits sieben Stufen freigelegt und waren in einer Tiefe von etwa anderthalb Metern angelangt.
„Da ist wieder eine Platte!“ rief Edwin aufgeregt. „Schnell, den Seismographen!“
Diesmal zeigte das Gerät einen durchgehenden Hohlraum an. Offenbar führten die Stufen noch weiter nach unten.
Wieder bohrte Edwin ein Loch in den Stein, befestigte die Öse und schob mit Pauls Hilfe die Platte zur Seite.
Zunächst war nicht viel zu sehen, nur gähnende Schwärze. Ein kalter Luftzug kam ihnen entgegen. Aber man konnte schon jetzt erkennen, dass die Stufen weiterführten.
Als Paul mit der Lampe nach unten leuchtete, sahen beide, dass die erste Stufe unterhalb der Platte die oberste Stufe einer steilen Treppe bildete, die in halsbrecherischem Winkel in die Tiefe führte. Auch die Stufen waren anders. Nicht wie bisher grob gehauen, sondern so glatt, dass der Stein wie poliertes Glas schimmerte. Alles war in rötlichem Ton gehalten, zweifellos roter Granit. Offenbar hatten sie bereits die Höhe, oder besser, die Tiefe des Felsplateaus erreicht, das als Fundament diente.
„Sei vorsichtig“, flüsterte Paul, während er die Lampe hielt.
Edwin nickte und stieg wortlos vorweg. Paul trat hinter ihm durch die Öffnung, den Lichtkegel auf die Stufen gerichtet. Mit einem Mal stoppte Edwin.
„Was ist?“
„Ich weiß nicht, aber mir war so, als ob ich etwas gehört hätte.“
„Wahrscheinlich einen Geist“, witzelte Paul, aber mehr, um sich selbst Mut zu machen.
„Hör auf mit solchen Sachen“, zischelte Edwin, „du weißt ganz
genau …“
In dem Moment ging das Licht aus. Edwin bekam einen solchen Schreck, dass er das Gleichgewicht verlor. Ein Schrei und ein kurzes dumpfes Poltern war die Folge. Dann war es still.
Als die Lampe Sekunden später wieder anging, lag Edwin ein paar Meter weiter unten auf den Stufen und schimpfte: „Kannst du mir verraten, was das eben sollte?“
„Das wollte ich dich gerade fragen“, antwortete Paul, „ich hab die Lampe nicht ausgemacht, die ist von alleine ausgegangen!“
„So ’ne Scheiße“, fluchte Edwin, „ich bin abgerutscht!“
„Du hättest dir sämtliche Knochen brechen können!“ fauchte Paul, der selber erschrocken war und schon geglaubt hatte, Edwin hätte sich zu Tode gestürzt. „Warte, ich komme!“
„Pass auf, das ist aalglatt hier!“ rief Edwin.
„Und? Alles in Ordnung?“
„Ja, ja“, meinte er beschwichtigend, während er sich aufrappelte und langsam weiter nach unten stieg. Seine Knie zitterten. Mit einer Hand stützte er sich jetzt an der Wand ab, um nicht noch mal den Halt zu verlieren.
Als sie schließlich die unterste Treppenstufe erreicht hatten, befanden sie sich ungefähr siebzehn Meter unter der Sphinx, am Anfang eines etwa zwei Meter hohen und zehn Meter langen Ganges. Dieser führte zuerst geradeaus, machte dann einen Knick nach rechts und mündete am Ende in einen kleinen, viereckigen Raum. Von dort aus waren es nur noch wenige Meter bis zu einem weiteren, offenbar viel größeren Raum. Unmittelbar davor hielt Paul plötzlich mitten im Schritt inne.
„Spürst du das?“
Edwin antwortete nicht. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er nicht gekonnt, denn er hatte einen Kloß im Hals und einen trockenen Mund, als wäre er tagelang ohne Wasser durch die Wüste geirrt. Aber er wusste, was Paul meinte, denn er spürte diese Wirkung ebenso. Von diesem Ort ging etwas Magisches aus, eine Kraft. Etwas, das weder zu beschreiben war noch der Worte überhaupt bedurfte. Man fühlte es einfach.
Als die beiden voller Ehrfurcht den großen Raum betraten, blieben sie abrupt stehen. Ihre Blicke folgten gespannt dem Lichtkegel der Lampe. Jetzt konnten sie erkennen, dass sie sich in einem großen und vor allem hohen Raum befanden. Paul war der erste, der vor Ergriffenheit überhaupt etwas sagen konnte.
„Die Halle!“ murmelte er.
Edwin sagte nichts.
Als sie näher kamen, sahen sie, dass alle Wände in Kopfhöhe mit Schriftzeichen bedeckt waren. Auf den ersten Blick ähnelten sie Hieroglyphen.
„Guck dir das an! Alles voller Hieroglyphen!“ staunte Paul.
Edwin hingegen glotzte wie von Sinnen die Wand vor ihm an, und seine Mimik hatte etwas Verklärtes, das zwischen Erleuchtung und Wahnsinn keinen Unterschied macht. Doch mit einem Mal veränderte sich dieser Ausdruck, hin zu Fassungslosigkeit, ja Enttäuschung.
„Du, Paul“, meinte er apathisch, „aber das sind keine Hieroglyphen.“
„Was denn sonst?“
„Das sind“, begann Edwin und fuhr mit der Hand über die Vertiefungen in der Wand, die so gut erhalten waren, als hätten die Restaurateure eben erst die Halle verlassen, „das sind auch keine prädynastischen Keilschriften. Diese Schrift ähnelt keiner, die ich jemals gesehen habe!“
„Aber was ist es dann?“
„Es könnte eine Form von hieratischer Keilschrift sein.“
Paul holte seinen Fotoapparat hervor und machte ein paar Aufnahmen. Doch dann einigten sich beide, die Halle erst einmal in aller Ruhe in Augenschein zu nehmen, danach würden sie noch genügend Zeit haben, die Wände abzufotografieren. Jetzt galt es erst einmal, alles rundherum zu inspizieren, um überhaupt einen Eindruck von der Fülle der Darstellungen zu erhaschen. Auch noch nach einer dreiviertel Stunde voller Andacht und Staunen, entdeckten sie immer wieder Neues, meistens jedoch unbekannte Zeichen und Symbole. Das einzige, was ihnen irgendwie bekannt vorkam, war ein großer Kreis an der Wand, der sich wiederum in kleinere Kreise unterteilte, die in gleichen Abständen zueinander um den Mittelpunkt angeordnet waren.
„Eigenartig“, meinte Paul, als er davorstand, „sieht aus wie ein besseres Fadenkreuz.“
„Könnte sein“, entgegnete Edwin, „nur da sind auch Strahlen eingezeichnet, siehst du?“
Paul ließ die Lampe kreisen und bestätigte: „Die erinnern mich irgendwie an ein Johanniterkreuz!“
„Stimmt“, pflichtete Edwin bei. Er kam nicht umhin, schnell ein Bild davon zu machen.
Und dann erkannte Paul eine riesige Reliefdarstellung an der Decke.
„Mensch, Ed! Guck doch mal da oben! Die Oriondarstellung der Dogon!“
Paul fokussierte die Lampe genau auf die Stelle, die er meinte.
„Was …? Wo …?“ Edwin reckte den Kopf in die Höhe und verdrehte die Augen. Dann rief er vor Begeisterung: „Tatsächlich, das Symbol aus dem Nofru-Tempel!“
Obwohl die Höhe der Halle mindestens zehn Meter betrug, konnte man von unten aus alles bestens erkennen: eine eiförmig zugespitzte Spirale, wobei in der Mitte der Orion mit seinen sieben Sternen abgebildet war.
„Das ist der ‚Po Pilu‘, der ‚Allesverschlinger‘!“ Edwin war überwältigt. Wie hypnotisiert starrte er nach oben, als wäre dort der Nabel der Welt.
Paul machte inzwischen noch ein paar Fotos und sagte dann ganz trocken: „Aber so gut und schön das alles hier ist, wo sind denn nun die Urkunden? Ich sehe keine!“
Noch eine ganze Weile reagierte Edwin nicht. Dann erwachte er urplötzlich aus seiner Starre, senkte den Kopf und meinte, zu Paul gewandt: „Was hast du erwartet? Fein säuberlich einsortierte CDs?“
Paul räusperte sich. „Ach Quatsch!“
„Ist dir eigentlich klar“, fuhr Edwin fort, „dass jede nur erdenkliche Magnetbandkassette oder jede bessere CD eine Lebensdauer von bestenfalls zweihundert Jahren hat? Das bedeutet, dass du sie nach viereinhalbtausend Jahren nicht mal mehr verfeuern kannst, weil sie bis dahin zu Staub zerfallen ist!“
„Du hast ja recht“, sagte Paul zerknirscht, „man verbindet eben alles, was aus Stein ist, immer mit steinzeitlich, hinterwäldlerisch.“
„Hinterwäldlerisch sind die, die so denken“, wetterte Edwin.
„Apropos hinterwäldlerisch“, sagte Paul nach einer Weile. „Mag sein, dass ich so bin, oder naiv, aber ich verstehe einfach nicht, warum es hier keine Urkunden gibt. Ich meine, wenn das hier die Halle der Urkunden ist, dann stehen wir jetzt in dieser Halle, aber wo bitte schön sind die Urkunden?“
„Reichen dir die an den Wänden nicht?“ meinte Edwin kopfschüttelnd.
„Aber überleg doch mal“, entgegnete Paul, „es müsste sich doch noch irgend was hier drin befinden! Wenn schon keine Papyrusrollen, dann doch wenigstens Steintafeln oder so was ähnliches! Aber die Halle ist leer!“
Bei diesen Worten richtete Paul die Lampe unvermittelt auf den Boden, auf dem man deutlich viele kleine Erhebungen erkennen konnte. Sie waren nach einem bestimmten Muster angeordnet, das in regelmäßigen Abständen wiederkehrte.
„Was ist das?“ wunderte sich Paul.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Edwin ganz in Gedanken versunken. Immer wieder strich er mit der Handfläche über den Boden und schüttelte dabei den Kopf.
„Was auch immer das ist“, fuhr er nach einigem Überlegen fort, „es muss irgendeinen Sinn, einen Zweck gehabt haben. Wahrscheinlich hast du sogar recht, Paul, hier wurde etwas aufbewahrt!“
„Sag‘ ich doch. Die Urkunden! Irgendjemand hat sie beiseite geschafft.“
„Die Frage ist nur, wer?“ sagte Edwin mehr zu sich selbst. Dann fügte er hinzu: „Dass heißt, wenn wir wenigstens wüssten, wann es war, dann wüssten wir auch, wer es war. Ich denke mal, in pharaonischer Zeit war niemand hier drin, und weder die Griechen noch die Kopten oder die Araber kannten seismographische Instrumente. Also kann es nur … in unserer Zeit gewesen sein.“
„Sag mal, Ed“, meinte Paul auf einmal nachdenklich, „ist dir nicht auch aufgefallen, dass unsere Buddelei unter der ersten Platte etwas zu einfach war? Ich meine, nach all den Jahrtausenden! Machen wir uns doch nichts vor.“
„Jetzt, wo du’s sagst“, unterbrach ihn Edwin. „Mir kam das auch merkwürdig vor. Einerseits war ich ja froh, dass wir so gut vorankamen, aber andererseits …“
„… war das alles schon vorgekäut! Und ich vermute mal, so lange ist das noch nicht her.“
„Das würde ja bedeuten …“
Edwin brachte den Satz nicht mehr zu Ende, denn ein eigenartiges schabendes Geräusch unterbrach seine Worte.

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