Es geht um NICHTS!

Das Weltenergieproblem ist gelöst

Peter Lemar

Edwin Stallgatter und Paul Linquist entwickeln einen  Vakuummotor, der aus Raumenergie elektrischen Strom  gewinnt. Doch schon bald zeigt sich, wie schwierig es ist,  dafür Interessenten aus der Energiewirtschaft zu finden.  Als schließlich ein großes amerikanisches Unternehmen  das Patent kaufen will, wird kurz darauf dessen Vizechef,  zuständig für den Bereich alternativer Energien, einer  Sexualstraftat bezichtigt und verhaftet. Das Patent  verschwindet und die beiden Patentinhaber kommen auf  mysteriöse Weise ums Leben.  Zur gleichen Zeit sorgt ein rätselhafter Selbstmord am  Kernforschungszentrum in Genf für Aufsehen. Doch als  Inspektor Kohler von der Mordkommission den  Verbindungen zwischen den Ereignissen auf die Schliche  kommt, wird er von dem Fall entbunden.

Ein Wissenschaftskrimi um die Lösung des weltweiten Energieproblems.

ISBN 978-3-944176-49-9  |   244 Seiten
Oktober 2014  |   NEPA Verlag
Preis € 13,95 [D]
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Leseprobe
4

Gleich am Dienstag sprach sie im Büro am Dittrichring 9 vor, in einem herrschaftlichen Gründerzeithaus mit prunkvollen Treppen und drei Meter hohen Stuckdecken. Die Sekretärin bat Nora, einen Moment im Vorzimmer Platz zu nehmen. Es dauerte nicht lange, dann erschien Winkelmann, ein gutaussehender Mittfünfziger, graumeliert mit Oberlippenbart und Brille.
Als Nora erzählte, Edwin sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen, zeigte sich Winkelmann tief betroffen.
„Das ist nicht zu fassen … Bitte nehmen Sie doch Platz, Frau Stallgatter. Mein aufrichtiges Beileid!“
„Danke“, sagte Nora leise.
„Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mich das trifft.“ Winkelmann stand einen Moment unschlüssig auf der Stelle. Dann setzte er sich in seinen Sessel und meinte: „Letzte Woche Montag hat er noch hier gesessen. Natürlich sprachen wir übers Patent und überhaupt übers Thema Freie Energie. Im Internet geistern jetzt viele solcher Lösungen rum, Motoren, die mit Magneten betrieben werden oder welche, die aus elektrostatischen Potenzialen Strom gewinnen. Solche Patente gibt es inzwischen zu Hauf. Doch Edwins Lösung empfand ich als genialste von allen. Einfach deshalb, weil man sie im großen Stil hätte umsetzen können. Rein technisch wäre das gegangen.“
„Was wäre technisch gegangen?“
Winkelmann schaute Nora irritiert an. „Ich dachte, das wüssten Sie?“
„Na ja“, begann sie zögernd, „ich wusste nur in etwa, worum es ging. Für die Einzelheiten hab ich mich nie wirklich interessiert. Sie müssen wissen, die Firma hat nie Geld abgeworfen. Es hieß immer nur, irgendwann wird es Geld geben. Sie glauben gar nicht, wie oft mir Ed das erzählt hat. Doch Geld hat es nie gegeben.“
„Das ist sehr bedauerlich“, fuhr Winkelmann fort. Zumal – es ist mir fast peinlich, das zu sagen – auch noch eine Rechnung von mir offen ist. Und zwar die für den Vertragsentwurf mit Central Electric.“
Er kramte in einer Ablage auf seinem Schreibtisch.
„Ein Vertrag mit Central Electric?“ Nora begriff nicht.
Winkelmann, der die Rechnung gefunden hatte, hielt kurz inne, wobei seine Züge einen gewissen Grad von Fassungslosigkeit ausdrückten, dann sagte er: „Ich nahm an, auch das wüssten Sie.“
„Davon wusste ich nichts“, sagte Nora verlegen. „Er hat nur erzählt, dass es irgendwann mal um einen großen Deal gehen könnte und dass Sie dann für ihn sehr wichtig wären. Deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen, um zu erfahren, was er vorhatte.“
Winkelmann musterte Nora von oben bis unten, dann meinte er: „Soweit ich weiß wollte er Central Electric sein Patent anbieten.“
„Welches Patent?“
„Das Patent für den Stromerzeuger.“
Nora schwieg.
„Nur für den Fall“, fuhr Winkelmann fort, „dass Sie nicht wissen sollten, woran ihr Mann gearbeitet hat …“
Nora schüttelte den Kopf.
„Er hat einen Energiekonverter bis zur Serienreife gebracht, der in der Lage ist – wenn er großtechnisch realisiert werden würde – das Weltenergieproblem zu lösen.“
Nora sah Winkelmann fassungslos an. Weder hatte sie eine Ahnung davon, was ein Energiekonverter sein sollte, noch eine Vorstellung davon, dass man damit das Weltenergieproblem lösen könnte. Aber ihr dämmerte, dass Edwin weit mehr war als der liebenswerte Spinner, für den sie ihn immer gehalten hatte.
„Allerdings“, fuhr Winkelmann fort, „ist das größere Problem dabei – wie sollte es auch anders sein – das des Geldes. Das heißt, wenn Sie mit so einem Produkt auf den Markt wollen, dann müssen Sie alle Grauzonen des juristischen Dschungels kennen. Denn es gibt viele Neider, Widersacher und Saboteure, die nur darauf aus sind, Sie außen vor zu lassen. Zwar ist es Aufgabe des Lizenzrechts, das skrupellose Hauen und Stechen auf dem Markt in Schranken zu halten, aber wenn es um gewinnbringende innovative Ideen geht, dann …“
„… ist jedes Mittel recht?“
„Nun, vielleicht nicht jedes“, meinte Winkelmann wohlüberlegt. „Aber vorsätzliche Behinderung oder gar Bestechung sind in diesen Kreisen nichts Ungewöhnliches. Ich kenne genügend Fälle, in denen das Patentamt bestochen wurde, um Geheimnisse preiszugeben oder an gekaufte Patentanwälte weiterzuleiten. Erst recht in Amerika.“
Nora sah Winkelmann eindringlich an.
„Alva Edison“, fuhr er fort, „war der erste, der wusste, wie ’s geht. Er beschäftigte einen ganzen Mitarbeiterstab, der nichts anderes tat, als ausländische Patente übersetzen. Dann wurden die Konkurrenten, einer nach dem anderen, ausgeschaltet und das Patent schließlich unter seinem Namen angemeldet.“
Winkelmann erhob sich von seinem Stuhl, ging zum Fenster und schaute auf die Straße hinunter.
„Doch was das Patent Ihres Mannes angeht“, nahm er den Gedanken wieder auf, „so hab‘ ich eher das Gefühl, dass es jetzt in einem Safe bei Central Electric liegt und kein Mensch je davon erfahren wird.“
„Aber warum?“ meinte Nora ungläubig.
„Sie fragen, warum?“ Winkelmann lachte gezwungen. „Weil die sich nicht den Ast absägen werden, auf dem sie sitzen! Die wollen weiter am Strommarkt verdienen. Ich meine konventionell, mit all den Kraftwerken, die den Planeten verpesten und uns Jahr für Jahr höhere Stromrechnungen bescheren. Der Energiekonverter hätte das Prinzip der Energiegewinnung auf den Kopf gestellt. Er hätte unsere gesamte Energiepolitik revolutioniert. Was aber einigen Leuten, die uns vom Strommonopol abhängig gemacht haben, ein Dorn im Auge ist. Die wollen weiter ihre Milliarden verdienen und uns das Geld aus der Tasche ziehen …
Was würden Sie tun“, sah Winkelmann Nora an, „wenn Sie im Besitz des Energiemonopols wären und jemand käme daher und würde Ihnen eine Lösung dahingehend anbieten, dass Sie all Ihre Kraftwerke und Umspannwerke nicht mehr bräuchten, all Ihre Telegrafenmasten und Leitungen, weil Sie jetzt Strom aus dem Vakuum erzeugen könnten. Würden Sie ihm den Zuschlag geben?“
Nora dachte einen Moment darüber nach und antwortete dann: „Ich glaube, dass das eine Frage der Reife ist. Und natürlich der Verantwortung. Beides sollte vorhanden sein. Ich würde selbstverständlich nach einer Lösung suchen.“
„Edwin hatte auch an eine Lösung geglaubt“, sagte Winkelmann ernst. „Doch er hat die Geldgier unterschätzt. Die Geldgier derer, die das einen Dreck interessiert. Die den Hals nicht voll genug kriegen.“
Er machte eine Pause, holte eine Zigarettenschachtel vom Schreibtisch und fragte: „Stört es Sie, wenn ich rauche?“
Nora schüttelte den Kopf.
„Ich hatte ihn davor gewarnt“, erzählte Winkelmann und steckte sich eine Zigarette an, „das Patent an die Amerikaner zu verkaufen. Edwin war in dem Glauben, nur die könnten seine Idee im großen Stil vermarkten, mit dem nötigen Geld. Übers Ohr gehauen haben Sie ihn. Oder schlimmer noch.“
„Das heißt“, bohrte Nora, „Sie glauben nicht an einen Unfall?“
Winkelmann sah Nora mit durchdringendem Blick an. Dann sagte er: „Wissen Sie, ich glaube nicht an Zufälle. Und auch nicht an den Weihnachtsmann.“
Nora schwieg.
„Und nach allem, was wir gerade erörtert haben, kann sich jeder seinen eignen Reim darauf machen … Beziehungsweise eins und eins zusammenzählen.“
Nora nickte. Dann bedankte sie sich vielmals bei Winkelmann, bekam seine Visitenkarte und die noch offene Rechnung mit der Bitte, ihn über den weiteren Fortgang der Ereignisse auf dem Laufenden zu halten. Daraufhin verließ sie, den Blick starr nach vorn gerichtet, das Haus.

Zuhause angekommen, bekam Nora einen Heulanfall. Als er vorüber war schlugen Trauer, Schmerz und Leere plötzlich um in Verbitterung und Wut. Das Gespräch mit Winkelmann hatte sie wach gerüttelt. Wie wenig sie doch über Edwins berufliche Aktivitäten Bescheid wusste. Das war erschreckend! Und dass er so sehr bestrebt war, all seine erfolglosen Anstrengungen zu einem guten Abschluss zu bringen, ja dass er sogar kurz vor einem durchschlagenden Erfolg stand, das machte sie betroffen. Offenbar hatte Edwin vorgehabt, erst dann die Karten auf den Tisch zu legen, wenn alles unter Dach und Fach gewesen wäre. Doch dazu war es nie mehr gekommen. Stattdessen hatte sich ihr Leben in einen Alptraum verwandelt, den sie nicht einfach so abschütteln konnte wie lästiges Ungeziefer.
In der Nacht und auch in den folgenden Nächten fand sie kaum Schlaf. Sie glaubte zu träumen, doch ihre Träume entpuppten sich jedes Mal als Alpträume. Immer ging es um Edwins Unfall, um seine Arbeit und um das, was damit zusammenhing. Auch sie selbst war darin verwickelt. Es wollte kein Ende nehmen. Und immer dann, wenn sie merkte, dass sie keine Ruhe finden würde, lauschte sie den Geräuschen der Nacht. So glaubte sie einmal, das Geräusch eines Schlüssels im Schloss zu hören, das Geräusch, das sie damit verband, dass Edwin ins Zimmer trat, so wie er es immer getan hatte. Aber es war nur das Schaben eines Kabels vom Blitzableiter. Und irgendwann erreichte ihr Delirium jenen gefährlichen Grad von Benommenheit, der zwischen Wahn und Wirklichkeit nicht mehr unterscheidet. Sie ging vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer, öffnete wahllos ein paar Schubfächer und kehrte dann zurück ins Schlafzimmer, unfähig, sich ins Bett zu legen. Dann ging sie ins Bad, wo in der Ecke neben dem Spiegelschrank immer noch ungeöffnet der Plastiksack lag, den man ihr im Krankenhaus mitgegeben hatte. Nora kniete nieder und öffnete ihn. Nicht aus Neugier oder Interesse, eher aus Verzweiflung. Es war lediglich der Versuch, sich mit irgendetwas abzulenken und zu zerstreuen. Was dabei zum Vorschein kam, schien zunächst dieser Absicht zu entsprechen: eine Packung Kopfschmerztabletten, ein Taschentuch, ein Slip und ein paar Socken. Doch es war auch Edwins Ehering dabei, in einem Plastiktütchen aufbewahrt, und seine Brieftasche, in der sich noch 20 Euro befanden und eine Menge Kundenkarten, darunter die Geldkarte, die AOK-Karte und eine Eintrittskarte für die Oper. Macbeth stand darauf. Mittwoch, 30. April, 20 Uhr. Nora durchzuckte es. Mit einem Schlag war sie wieder im Jetzt. Sie schaute auf die Uhr. 4.25 Uhr zeigte das Display an und das Datum: Mittwoch, 23. April. Die Karte galt also noch. Aber was wollte Edwin in der Oper? Er war doch sonst nie in die Oper gegangen. Nora konnte sich nur an ein einziges Mal erinnern, und das war zum Opernball, nicht zu irgendeiner Vorstellung. Und so diente das Auffinden der Opernkarte auch nicht gerade dazu, dem frühen Morgen – es wurde bereits wieder hell – noch ein paar Stunden Schlaf abzuringen. Obwohl: Nach weiteren schier endlosen Gedankentiraden, verbunden mit quälenden Wahn- und Schwitzattacken, schlief Nora schließlich doch noch ein, mit dem Vorsatz, dem Geheimnis der Opernkarte unter allen Umständen auf den Grund zu gehen.

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